Als ich 12 war, sind meine Eltern aus Bogota geflüchtet – aus Angst vor der Guerilla. Sie haben damals Vieles in ihrem Leben aufgeben müssen und es uns Kindern – mir und meinem Bruder – jedoch nie an etwas fehlen lassen; in einem fremden Land, in einer anderen Realität. Ich möchte ihnen etwas zurückgeben. Eine solide Ausbildung bzw. mein Streben nach Wissen und Werten sind für mich das Mindeste."
Bereits als kleines Mädchen sass Angela mit grossen Augen neben ihrer Mutter und beobachtete wie sie sich für die Arbeit zurecht machte. "Als Anwältin trug sie immer schicke Kostüme, hatte viel Kontakt mit Menschen und ich wusste schon damals, so einen Job will ich später auch mal machen. Nach Feierabend hab ich mich oft neben sie an den Schreibtisch gesetzt und grosse, weite Berufswelt gespielt." Angela lacht. Inzwischen ist sie selbst erwachsen, geht zur Arbeit, trägt Hosenanzüge und betreut ihre Kunden. Alles wie sie es immer wollte. Angela hat sich für eine KV-Lehre entschieden, Berufsschule und -praxis in einem. "Seitdem wir in der Schweiz sind, hat man uns gesagt, Banken und Versicherer bieten sichere Karrieren. Deshalb habe ich das für mich als Basis gewählt."
Nach der Schule hatte sich Angela als Lernende bei mehreren Arbeitgebern beworben, "aber niemand kreierte bereits im Bewerbungsgespräch so eine fast familiäre Atmosphäre um mich herum wie die Baloise", erinnert sie sich. "Meine Gegenüber haben sich in dem Job-Interview auf mich eingestellt. Ich habe mich sofort wohlgefühlt und durfte gar einen Schnuppertag absolvieren. Bei anderen Firmen hingegen geriet ich unter Druck, musste viele Fragen beantworten. Das hat mich eingeschüchtert." Angela erzählt, dass sie damals noch sehr viel zurückhaltender war, wenig selbstsicher. "Das habe ich erst während meiner Lehre bei der Baloise gelernt. Ich entwickle mich fachlich wie persönlich weiter. Zum Beispiel gelingt es mir auch erst heute, Nein zu sagen oder zu meiner Meinung stehen. Das klappt noch nicht jedes Mal, aber öfter. Es ist eine Schule für mein Leben."
Angelas tägliche Aufgaben als Lernende beginnen mit der Bearbeitung der Post: Briefe, Pakete müssen geöffnet und verteilt werden, Mails wollen beantwortet sein und neue Offerten erstellt. "Oft haben unsere Kundenberater abends noch neue Verträge erfasst. Die müssen dann ins System." Das Administrative an ihrem Job hat der 19-jährigen auch im 1.Lehrjahr keine Schwierigkeiten bereitet, "aber all das Versicherungstechnische ist eine echte Herausforderung. Das Gute ist, ich liebe Herausforderungen und ich lerne gern. Deshalb landete das sehr komplexe Wissen schnell in meinem Kopf. Aber KV-Lernende müssen wissen: es braucht viel Know-how."
Angelas Lebensgeschichte ist bewegt und umso beeindruckender ist die Stärke, mit der sie sie erzählt. Weil ihre Mutter als Anwältin Familien vertrat, in denen unschuldige Bürger von der Guerilla getötet worden waren, musste sie selbst um ihr Leben fürchten und deshalb mit ihrem Mann und den beiden Kindern ihre Heimat verlassen. "Für uns Kinder war das irgendwas zwischen spannend und tough: eine neue Kultur, eine andere Sprache, neue Freunde. Für unsere Eltern war es umso härter", erzählt Angela. Das Studium ihrer Mutter wurde in der Schweiz nicht anerkannt. Sie konnte nicht mehr als Anwältin tätig sein, fand zwar Arbeit, aber solche für die sie eigentlich überqualifiziert war. Noch schlimmer jedoch war es, nie wieder nach Kolumbien zurück zu dürfen, nie wieder die eigenen Eltern zu sehen denn jeder Schritt in ihr Land hätte den Tod bedeuten können. "Um sich und uns alle zu schützen, haben meine Eltern ein neues Leben begonnen" und umso mehr, erzählt Angela weiter, weiss sie ihre Möglichkeiten in der Schweiz zu schätzen. "Dass ich hier meine Ausbildung als Lernende machen und so wiederum meine Eltern unterstützen kann, ist eine Chance, für die ich sehr dankbar bin."
Angela hat eine Menge Pläne, die sie nach ihrer Zeit als Lernende angehen möchte. Konkret weiss sie nur noch nicht welche genau. "Für mich ist diese Lehre die Basis all dessen, was noch an Aus- und Weiterbildung kommt in meinem Leben. Am liebsten möchte ich in der Versicherungsbranche bleiben und mich zusätzlich weiterentwickeln." Ein Studium wäre Angelas ganz grosser Traum. Allerdings ist noch unklar, wie ihre Familie die entsprechenden Gebühren aufbringen könnte. "Ausserdem bin ich sehr kreativ. Eine Ausbildung zur Mediagrafikerin wäre ebenso vorstellbar – oder, noch was ganz Anderes: etwas mit Tieren, etwas eher Gemeinnütziges. Ich habe auch ein grosses Herz." Hundertprozentig entschieden hat sich Angela noch nicht. Muss sie auch nicht. Ein Lehrjahr bleibt ihr noch, um sich über ihren weiteren Weg Gedanken zu machen.
Angelas Tipp für Lernende
"Wer die KV-Lehre absolvieren will, sollte Menschen mögen. Es muss dir immer gelingen, den Kunden willkommen zu heissen. Du brauchst Offenheit, Freundlichkeit und übrigens auch den Willen zu lernen. Wer faul ist, ist hier falsch."