Aufgeteilt in vier Bereiche – Kollektivleben, Einzelleben, Nichtleben und Schaden – wurde zuletzt mit festen Einsatzplänen gearbeitet. Die Kollegen/Innen waren anhand ihrer Verfügbarkeiten fünf Tage die Woche in Schichten eingeteilt, in denen sie fest sechs Stunden telefonierten und sich in zwei weiteren um die Post kümmerten. Irgendwann kam der Moment, in dem zwei Teamleiter das System hinterfragten und ein dynamisches Konzept mit Freiraum und Eigenverantwortung vorschlugen.
Es ist wie immer bei Change-Prozessen. Man muss dran bleiben und darf sich durch Widerstände nicht entmutigen lassen. Als die Idee flexiblerer Einsatzmöglichkeiten im Kundenservice entstand, musste zunächst auf verschiedenen Ebenen Überzeugungsarbeit geleistet werden. Dann kam das Go. "Aber damit ist es natürlich nicht getan", erzählt Cansu Kaya (28) aus dem Bereich Nichtleben. "Auch wir Mitarbeitenden, die das unbekannte System ausprobieren sollten, waren skeptisch. Also, gab es eine Testphase zunächst in zwei Bereichen des Kundenservice und ich für mich kann sagen: Die positiven Effekte waren sehr schnell spürbar."
"Früher waren wir fix sechs Stunden in der Telefonie eingeteilt. Kurzfristige Sitzungsteilnahmen waren schwer zu koordinieren, eine spontane Verabredung zum Lunch z.B. liess sich nur mit einem Schichttausch ermöglichen, wenn zwei Mitarbeitende zu verschiedenen Zeiten eingeteilt waren." Cansu beschreibt, wie sie das alte System z.T. empfunden hat. "Allerdings möchte ich unbedingt sagen, dass das Workforce Management, das unsere Dienstpläne erstellte, immer bemüht war, allen Einsatzwünschen nachzukommen. Da steckte viel Mühe im Detail." Caroline Humbel nickt. "Diese Struktur hatte insofern ihr Gutes, als dass jeder wusste, wann er was zu tun hatte und den Fokus entweder auf die Telefonie oder auf die Postbearbeitung setzten konnte", sagt die stellvertretende Teamleiterin im Kundenservice Schaden. "Früh- und Spätschichten wurden möglichst gerecht verteilt."
Heute können Mitarbeitende in verschiedenen Bereichen des Kundenservice selbständig entscheiden, wann sie Telefonieren bzw. die Post durchgehen. Wichtig ist, dass sie sich untereinander abstimmen. Ist das Aufkommen an Anrufen hoch, sollte sich idealerweise jeder verpflichtet fühlen, ans Telefon zu gehen. Gleichzeitig darf aber die Post nicht ausser Acht gelassen werden. Das neue System kann nur funktionieren, wenn alle Verantwortung übernehmen. Es braucht etwas Zeit, damit jeder für sich die richtige Balance findet denn manche Entscheidung wurde den Mitarbeitenden jahrelang abgenommen. "Wir Kollegen/Innen reden viel miteinander, die Atmosphäre ist sehr lebendig", beschreibt Cansu. "Ich habe das Gefühl, ich kann jeden um Hilfe bitten, sobald mehr Anrufer reinkommen. Aber ja, wir alle müssen darauf achten, dass es fair bleibt. Dass jeder mal für das Team da ist bzw. sich auf das Team verlassen kann."
Der Tag im Kundenservice dauert von 7.30 bis 20 Uhr. Die einen müssen früh da sein und die anderen spät. Dahingehend braucht es weiterhin eine gerechte Verteilung. "Der Dienst bis 20 Uhr ist das letzte Überbleibsel, das noch geplant wird", erklärt Cansu. "Bei uns im Schaden", ergänzt Caroline, "gibt es die Vereinbarung, dass jeder 1x pro Woche früh und 1x spät zur Verfügung stehen muss." Zwei unterschiedliche Herangehensweisen. Beide werden immer mehr gelebt. Letztlich ist genau das eine Erkenntnis: Auch ein dynamisches Konzept im Kundenservice braucht gewisse Leitplanken.
Pro: "Das Thema Verantwortung übernehmen fühlt sich gut an. Jeder von uns – entscheidet im Sinne der Sache – wann man wo gebraucht wird", erzählt Cansu.
Contra: Nicht jeder mag Verantwortung für die Ausgestaltung des eigenen Arbeitstages übernehmen. Vor allem wenn man die Struktur lange Zeit gewohnt war. Wann braucht es mich am Telefon und wann an den Mails? Manchen fällt diese Entscheidung noch schwer.
Eben weil die Veränderungen neu sind, gab es nach den ersten Erfahrungen Umfragen: Was sind eure Sorgen? Was braucht ihr? Wie fühlt sich die Theorie in der Praxis an? Das Feedback ist überwiegend gut. Das ist dankenswert und keine Selbstverständlichkeit. Beide erzählen, dass es während der Testphase des neuen Konzeptes relativ ruhig war im Kundenservice. Seit der Umstellung etwa aber rufen ungewöhnlich viele Kunden an. Cansu: "Manchmal sind es 1000 Anrufe am Tag plus Mails. Wir müssen miteinander agieren und ständig entscheiden, wo ist Hilfe am nötigsten? Eine echte Bewährungsprobe für unseren Change. Unterm Strich aber bin ich dankbar, dass wir die Chance erhalten haben, etwas Mutiges auszuprobieren. Erst wenn man Veränderung lebt, kann man beurteilen, was sie tatsächlich für einen bedeutet."